Vorwort der Herausgeber ZNR 1 (1979) S. 1-2:
Die seit den Tagen der historischen Schule gründlich veränderte Situation der rechtsgeschichtlichen Forschung wirft drängende Fragen auf, die sowohl die Methode wie die inhaltlichen Probleme, das Selbstverständnis und die Selbstdarstellung dieser Disziplin betreffen. Die Rechtsgeschichte hat seit dem späten 19. Jahrhundert ihren ursprünglichen Zusammenhang mit dem geltenden Recht als dessen historischer Dogmatik verloren. Sie ist mehr denn je eine der historischen Empirie verpflichtete Wissenschaft, betrieben freilich von Juristen und daher von den Erfahrungen und Anfragen des modernen Rechts geprägt. Probleme und Fragestellungen der Geschichts- wie der Rechtswissenschaft wirken auf den Forschungsprozeß der Rechtsgeschichte zurück. Die in der modernen Geschichtswissenschaft geläufige Berücksichtigung sozial- und geistesgeschichtlicher Verflechtungen und Wechselbeziehungen findet in zunehmendem Maße Parallelen auch in rechtsgeschichtlichen Untersuchungen. Andererseits vermag sich die einem enger umgrenzten Gegenstand verpflichtete Rechtsgeschichte nicht aus dem Bezugsfeld der modernen Rechtsordnung zu lösen. Die rechtstheoretische Diskussion um die Geschichtlichkeit des Rechts stellt die Forschung vor die Aufgabe, den Gegenwartsbezug ihrer Arbeit neu zu überdenken. Zwar haben auch in dieser Situation der Neuorientierung und des Übergangs nicht wenige der traditionellen rechtshistorischen Fragenkreise ihre Bedeutung behalten. Die ehemals beeindruckende Geschlossenheit der akademischen Disziplin „Rechtsgeschichte“ ist jedoch verlorengegangen, Die Vielfalt der Forschungsvorhaben und Unterschiedlichkeit der methodischen Ansätze erschweren dabei nicht nur den Überblick, sondern auch das wissenschaftliche Gespräch. Rechtshistorische Arbeiten erscheinen heute nicht nur in der traditionsreichen Savigny-Zeitschrift, sondern in so verschiedenartigen historischen, juristi-schen und anderen Publikationsorganen, daß die spezifischen Aufgaben des Faches undeutlich zu werden scheinen.
Die vorliegende Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte will den angedeuteten Fragestellungen der neueren wissenschaftlichen Diskussion ein Forum bieten und zugleich einen Beitrag zur Reintegration der Disziplin leisten. Wenn sie sich dabei auf die neuere Zeit – vom ausgehenden Mittelalter bis zur Nachkriegsära – konzentriert, so nicht deswegen, weil sie dem Mittelalter, den archaischen und antiken Rechtskulturen keine Bedeutung beimißt. Die Beschränkung auf die neuere Zeit schien geboten, weil dieser Zeitraum einerseits im klassischen Fächerkanon der Rechtsgeschichte nur unvollkommen abgedeckt und daher besonders bearbeitungsbedürftig erscheint, andererseits aber die fortwirkenden Voraussetzungen der modernen Rechts- und Verfassungsordnungen ohne Zweifel besonders in der Neuzeit zu suchen sind. Es ist daher zweifelhaft, ob heute noch alle Epochen der Rechtsgeschichte von einer Zeitschrift erfaßt werden können. Die Abkehr von einer allzu eng konzipierten Dogmen- und Institutionengeschichte erfordert die Öffnung gegenüber wirtschafts- und sozialgeschichtlichen, geistesgeschichtlichen und anthropologischen Fakten und Vorgängen und damit zugleich die Überwindung der überkommenen Isolierung der rechtsgeschichtlichen Forschungsarbeiten in Teildisziplinen der Romanistik, Germanistik und Kanonistik. Wird sich die Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte auch auf die deutschsprachigen Länder konzentrieren müssen, so soll doch die internationale Forschung stärker als bisher Beachtung finden. Nicht zuletzt muß die Zeitschrift auch der in jüngerer Zeit in Gang gekommenen Methodendiskussion den ihr gebührenden Platz einräumen.
Die vorerst halbjährliche Erscheinungsweise der Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte soll eine möglichst zügige Information gewährleisten. Wünschenswert und daher grundsätzlich ins Auge gefaßt ist der Übergang zur Publikation von Vierteljahresheften. Bis dahin wird der Rezensionsteil aus Raumgründen nicht die gesamte rechtshistorische Literatur der Neuzeit berücksichtigen können. Die vorerst gebotene Beschränkung auf rechtshistorische Werke von besonderer Bedeutung schließt eine Vorauswahl ein, die zu bedauern ist. Die Herausgeber hoffen, diesen Mangel durch laufende Forschungsberichte auszugleichen, in denen die jüngere Literatur zu wichtigen Problembereichen kritisch besprochen und auf Forschungstendenzen hingewiesen wird. Daneben sollen regelmäßige Literaturberichte über die rechtshistorischen Forschungen des außerdeutschen Sprachraumes informieren. Schließlich soll die Zeitschrift so oft wie möglich der fachwissenschaftlichen Diskussion dienen. Es versteht sich von selbst, daß trotz dieser Betonung der informativen und kommunikativen Aufgaben der Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte die zentrale Aufgabe jeder wissenschaftlichen Zeitschrift, weiterführende Forschungsarbeiten zu publizieren, nicht vernachlässigt werden wird.
Die Gründung einer neuen Zeitschrift für eine relativ „kleine“ wissenschaftliche Disziplin stellt ein Wagnis dar, zu dem sich die Herausgeber nur zögernd entschlossen haben. Sie glauben jedoch im Interesse des Faches, daß die vom Verlag Manz gebotene Chance wahrgenommen werden muß und hoffen auf die unvoreingenommene Unterstützung der Fachgenossen.
Wilhelm Brauneder, Wien
Pio Caroni, Bern
Bernhard Diestlkamp, Frankfurt/Main
Clausdieter Schott, Zürich
Dietmar Willoweit, Tübingen